In diesem Kapitel werden einige - nicht alle (!) - rechtlichen Aspekte der „Privatisierung“ von Filialen im Lebensmitteleinzelhandel beleuchtet - zum einen und vorrangig mit Blick auf den einzelnen Arbeitnehmer50 und damit auf das individuelle Arbeitsrecht, zum anderen mit Blick auf den Betriebsrat und damit auf das kollektive Arbeitsrecht.
Der Aufbau dieses Beitrags orientiert sich an häufigen Fragestellungen von Arbeitnehmern und Betriebsratsmitgliedern aus Anlass der „Privatisierung“ der Lebensmittelfiliale, in der sie arbeiten und für die sie als Arbeitnehmervertreter in betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht zuständig sind.
§ 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist eine Vorschrift zu dem Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils und zu dessen Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis.
Zugleich dient § 613a BGB der Umsetzung der Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen vom 12.03.2001 (RL 2001/23/EG) in nationales Recht. Deswegen sind bei der Anwendung und Auslegung von § 613a BGB die Vorgaben der EU-Richtlinie 2001/23/EG und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu beachten.
Sowohl die EU-Richtlinie 2001/23/EG als auch § 613a BGB sind darauf gerichtet, möglichst umfassend die Rechte der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Unternehmensinhabers zu sichern. Die Arbeitnehmer sollen im Falle eines Inhaberwechsels vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes geschützt werden. Weiterhin ist es Ziel, grundsätzlich den bisherigen Vertragsinhalt zu sichern, indem der neue Inhaber in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen eintritt.
§ 613a BGB ist wie folgt aufgebaut:
§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ordnet an, dass bei einem Betriebsübergang die Arbeitsverhältnisse auf den neuen Inhaber übergehen und dass der neue Inhaber in die mit dem bisherigen Inhaber bestehenden Arbeitsverhältnisse eintritt.
§ 613a Abs. 1 Sätze 2 bis 4 BGB regeln die Weitergeltung der bisherigen Kollektivvereinbarungen (Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen).
§ 613a Abs. 2 und 3 BGB enthalten Regelungen über die Haftung des bisherigen Betriebsinhabers und des neuen Betriebsinhabers, was Ansprüche der Arbeitnehmer anbelangt.
§ 613a Abs. 4 BGB beinhaltet eine besondere Kündigungsschutzvorschrift, die die Kündigung wegen des Betriebsübergangs verbietet.
§ 613a Abs. 5 BGB trifft Bestimmungen zur Unterrichtung der Arbeitnehmer über die für sie wichtigen Umstände eines Betriebsübergangs.
§ 613a Abs. 6 BGB räumt den Arbeitnehmern ein Widerspruchsrecht ein zum Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den neuen Inhaber.
Bei § 613a BGB handelt es sich um eine komplexe gesetzliche Vorschrift, die immer wieder und von neuem Anlass zu Rechtsstreitigkeiten gibt - mit der Folge, dass sowohl das Bundesarbeitsgericht (BAG) als auch der EuGH häufig Entscheidungen in diesem Themenkomplex treffen (müssen) und neue Entwicklungen in der Rechtsprechung zu beobachten sind.
Im Folgenden werden einige, im Rahmen dieser Arbeitshilfe wichtige Teilaspekte des § 613a BGB beleuchtet.
Wie bereits gesagt, regelt die Vorschrift des § 613a Abs. 1 BGB den rechtsgeschäftlichen Übergang eines Betriebs oder eines Betriebsteils auf einen neuen Inhaber. Die Auslegung der Begriffe Betrieb bzw. Betriebsteil wird durch die Rechtsprechung des EuGH und des BAG bestimmt. Danach ist Voraussetzung für den Betriebsübergang im Sinne von § 613a BGB, dass es sich um eine wirtschaftliche Einheit handelt, die vom neuen Inhaber im Wesentlichen unverändert fortgeführt wird.
Ob eine wirtschaftliche Einheit vorliegt und übergegangen ist, ist im Rahmen einer Gesamtabwägung aller Umstände festzustellen. Als Teilaspekte kommen in Betracht:
Art des Betriebes oder Unternehmens
Übergang materieller Betriebsmittel (Gebäude und bewegliche Güter)
Übergang immaterieller Betriebsmittel (Know-How, Patente etc.)
Übernahme von Kundschaft und Lieferantenbeziehungen
Übernahme der Hauptbelegschaft
Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und nach dem Übergang ausgeübten Betriebstätigkeit
Dauer einer eventuellen Unterbrechung der Betriebstätigkeit.
Ein Betriebsteil im Sinne des § 613a BGB ist eine Teileinheit / Teilorganisation des Betriebes. Dies können beispielsweise der Sicherheits- und Schließdienst oder die Reinigung der Lebensmittelfiliale sein.
Zwar setzt § 613a BGB im Weiteren einen rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang voraus. Allerdings wird der Begriff Rechtsgeschäft weit ausgelegt. In Betracht kommen unter anderem: Kauf, Pacht, Miete, Nießbrauch, Leasing, Schenkung, Management-Buy-Out-Vertrag. Maßgebend ist die willentliche Übernahme der Organisations- und Leitungsmacht durch den Erwerber.
In zeitlicher Hinsicht ist für den Betriebsübergang nach § 613a BGB der Zeitpunkt maßgeblich, in dem der neue Betriebsinhaber die wirtschaftliche Einheit tatsächlich nutzt und fortführt. Ohne Bedeutung sind etwaige vertragliche Regelungen zwischen altem und neuem Inhaber zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs; auf die tatsächlichen Geschehnisse kommt es an.
Ein Betriebsübergang und damit § 613a BGB sind also nicht nur dann zu bejahen, wenn eine Lebensmittelfiliale von einer juristischen Person (z.B. GmbH) auf eine natürliche Person (Herrn/Frau XYZ) übertragen wird und die natürliche Person fortan Inhaber des Lebensmittelbetriebs ist. Vielmehr ist ein Betriebsübergang im Sinne von § 613a BGB auch dann gegeben, wenn eine juristische Person (z.B. GmbH oder AG) eine Lebensmittelfiliale ausgliedert und diese sodann als neue, eigenständige juristische Person (z.B. in Form der GmbH) fortgeführt wird.
Was ist mit der Anwendung des § 613a BGB, wenn Geschäftsanteile dieser GmbH veräußert werden?
Wesentliches Kriterium für den Betriebsübergang nach § 613a BGB ist der Wechsel der natürlichen oder juristischen Person, die für den Betrieb verantwortlich ist, mit tatsächlicher Weiterführung der Geschäftstätigkeit.
Der Inhaber des Lebensmittelbetriebs, die XYZ GmbH, erfährt keinen Wechsel dadurch, dass Geschäftsanteile der XYZ GmbH verkauft bzw. erworben werden, d.h. dass Geschäftsanteile den Inhaber und/oder dass Gesellschafter der GmbH wechseln. In solchen Fällen bleibt die juristische Person, nämlich die XYZ GmbH, als Inhaber des Lebensmittelbetriebs identisch. Es liegt kein Wechsel des Betriebsinhabers (= XYZ GmbH) und damit kein Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB vor.
Die Veräußerung von Geschäftsanteilen einer GmbH hat also keinerlei Auswirkungen auf den Bestand und den Inhalt des Arbeitsverhältnisses.
Daraus folgt weiterhin: Sofern die XYZ GmbH durch Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband tarifgebunden ist, endet diese Verbandsmitgliedschaft nicht dadurch, dass Geschäftsanteile der XYZ GmbH den Inhaber wechseln oder ein Wechsel der Gesellschafter der XYZ GmbH stattfindet.
§ 613a BGB ist zwingendes Recht. Das Arbeitsverhältnis geht kraft Gesetzes auf den neuen Inhaber über; der neue Inhaber tritt kraft Gesetzes in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein.
Angesichts dessen sind der Abschluss bzw. die Unterzeichnung eines neuen Arbeitsvertrages mit dem neuen Betriebs-/Unternehmensinhaber nicht notwendig!
Anzuraten ist, mit dem Abschluss bzw. der Unterzeichnung eines neuen Arbeitsvertrags im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang äußerst sorgsam zu sein. Denn es ist leider nicht selten der Fall, dass der vom neuen Betriebs-/Unternehmensinhaber gewünschte Arbeitsvertrag schlechtere Arbeitsbedingungen zum Inhalt hat.
Es ist das Recht eines von Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmers, die Unterzeichnung eines neuen Arbeitsvertrages beim neuen Inhaber und damit beim neuen Arbeitgeber abzulehnen.
In Fällen des Betriebsübergangs und damit des Übergangs des Arbeitsverhältnisses nach § 613a BGB besteht das Arbeitsverhältnis ununterbrochen fort. Hinzu kommt, dass gemäß § 613a Abs. 2 BGB der neue Inhaber für Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis haftet, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach dem Zeitpunkt des Übergangs fällig werden.
Damit gibt es keine Pflicht des von Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmers, anteiligen Jahresurlaub in Anspruch zu nehmen, der sich aus der Zeit vom 1. Januar des Kalenderjahres bis zum Zeitpunkt des Übergangs im selben Kalenderjahr errechnet.
Der neue Inhaber hat für den vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstandenen anteiligen Urlaub einzustehen, das heißt ihn zu gewähren.
Gemäß § 613a Abs. 5 BGB müssen der bisherige oder der neue Arbeitgeber die Arbeitnehmer über den Betriebsübergang unterrichten. Die Unterrichtung hat in Schriftform zu erfolgen. § 613a Abs. 5 BGB zählt im Einzelnen auf, worüber die von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer zu informieren sind:
Zeitpunkt des Übergangs
Grund für den Übergang
rechtliche, wirtschaftliche und soziale Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer sowie
hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommene Maßnahmen.
Darüber hinaus muss die Unterrichtung - so das BAG - dem Arbeitnehmer Klarheit über die Identität des Erwerbers verschaffen.
Zu den rechtlichen Folgen des Übergangs, über die die vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer zu informieren sind, gehören auch die kollektivrechtlichen Folgen, z.B. was mit Tarifverträgen und/oder mit (Konzern-/Gesamt-) Betriebsvereinbarungen aus Anlass des Betriebsübergangs geschieht.
Auch gehören betriebsverfassungsrechtliche Themen wie Fortbestand oder Übergangsmandat des Betriebsrats, Zugehörigkeit zum Gesamtbetriebsrat und Konzernbetriebsrat zur Unterrichtungspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB.
Die Information muss vollständig und inhaltlich richtig sein und in einer auch für einen juristischen Laien verständlichen Sprache erfolgen. Bei ausländischen Arbeitnehmern ist eine Übersetzung erforderlich, wenn sie nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen.
Die Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB hat vor dem Übergang zu erfolgen.
Ist die Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB unterblieben, so kann sie nachgeholt werden. Die Unterrichtungspflicht bleibt auch nach dem Übergang bestehen.
Erst mit Zugang des Unterrichtungsschreibens beim Arbeitnehmer beginnt die Monatsfrist des § 613a Abs. 6 BGB für die Ausübung des Widerspruchsrechts zu laufen, das dem von Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer eingeräumt ist.
Ist die Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB fehlerhaft, weil sie unvollständig ist oder falsche Angaben enthält, beginnt (zunächst) nicht die einmonatige Frist des § 613a Abs. 6 BGB für den Widerspruch. Die Widerspruchsfrist von einem Monat beginnt erst mit Zugang der ordnungsgemäßen Unterrichtung beim Arbeitnehmer zu laufen, und zwar unabhängig vom Zeitpunkt des Betriebsübergangs.
§ 613a Abs. 6 BGB räumt dem Arbeitnehmer das Recht ein, dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses zu widersprechen.
Das Schweigen des Arbeitnehmers ist kein Widerspruch!
Der Widerspruch muss - sofern das Widerspruchsrecht ausgeübt wird - schriftlich erfolgen. Ein Widerspruch per Telefax reicht für das gesetzliche Schriftformerfordernis nicht aus! Der Widerspruch muss keine Begründung enthalten. Die Gründe des Arbeitnehmers für seine Entscheidung sind rechtlich ohne Bedeutung.
Der Widerspruch kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Arbeitgeber erklärt werden.
Wie bereits gesagt, beträgt nach § 613a Abs. 6 BGB die Frist für die Ausübung des Widerspruchs einen Monat. Sie beginnt mit Zugang des nach § 613a Abs. 5 BGB ordnungsgemäßen Unterrichtungsschreibens beim Arbeitnehmer zu laufen.
Das Widerspruchsrecht kann unter besonderen Umständen verwirken.
Widerspricht der Arbeitnehmer form- und fristgerecht dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses, bleibt das Arbeitsverhältnis zum Veräußerer des Betriebs, also zu dem bisherigen Betriebsinhaber bestehen.
Wenn der Widerspruch wegen verspäteter ordnungsgemäßer Unterrichtung im Sinne von § 613a Abs. 5 BGB erst nach dem Betriebsübergang erfolgt, nimmt das BAG an, dass der Widerspruch auf den Zeitpunkt des Betriebsübergangs zurückwirkt.
Zu beachten ist: Für den Arbeitnehmer, der dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widerspricht, besteht das Risiko, vom Betriebsveräußerer bzw. vom alten Arbeitgeber betriebsbedingt gekündigt zu werden. Dies gilt insbesondere bei fehlender Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Betrieb bzw. im Unternehmen des alten Arbeitgebers.
Nach § 613a Abs. 4 BGB ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den bisherigen oder den neuen Betriebsinhaber wegen des Betriebsübergangs unwirksam. Allerdings besteht kein absoluter Bestandsschutz gegen Kündigungen im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang!
§ 613a Abs. 4 BGB verbietet ausschließlich, gerade den Betriebsübergang zum Anlass für eine Kündigung zu nehmen. Das heißt: § 613a Abs. 4 BGB greift nur dann, wenn der Betriebsübergang der tragende Beweggrund für die Kündigung ist.
Die Kündigung aus anderem Anlass bleibt zulässig - unter Beachtung der ansonsten für den Arbeitnehmer geltenden Kündigungsschutzvorschriften. So kann der Erwerber - in den Schranken des Kündigungsschutzgesetzes - sowohl personen- oder verhaltensbedingte Kündigungen aussprechen als auch aus dringenden betrieblichen Erfordernissen z.B. wegen Rationalisierung, Umstrukturierung, Personalabbau kündigen.
Tarifverträge können aus verschiedenen Gründen Anwendung auf das Arbeitsverhältnis finden. Dementsprechend unterscheiden sich die rechtlichen Folgen hinsichtlich der Weitergeltung von Tarifverträgen nach Betriebsübergang.
Die bisher geltenden Tarifnormen finden nach dem Betriebsübergang kraft Tarifbindung Anwendung, wenn sowohl der Arbeitnehmer als auch der Betriebserwerber tarifgebunden sind und das Arbeitsverhältnis in den Geltungsbereich des bisherigen Tarifvertrags fällt. Ist also der Betriebserwerber bei der „Privatisierung“ an denselben Einzelhandelstarifvertrag gebunden wie mein bisheriger Arbeitgeber, tritt keine Änderung im Hinblick auf die bisherigen tariflichen Standards ein.
Die Tarifnormen eines bisher für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages gelten nach einem Betriebsübergang dann mit unmittelbarer und zwingender Wirkung weiter, wenn das Arbeitsverhältnis weiterhin von dem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag erfasst wird. In Fällen der Allgemeinverbindlichkeitserklärung (§ 5 Tarifvertragsgesetz = TVG) wird bei der „Privatisierung“ einer Lebensmittelfiliale das Arbeitsverhältnis weiterhin von dem für allgemeinverbindlich erklärten Einzelhandelstarifvertrag erfasst - mit der Folge, dass die tariflichen Standards auch vom neuen Betriebsinhaber einzuhalten sind.
Enthält der mit dem bisherigen Betriebsinhaber geschlossene Arbeitsvertrag eine Vereinbarung, wonach ein Tarifwerk für das Arbeitsverhältnis gelten soll, greift § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB. In diesem Fall verhält es sich so, dass die in Bezug genommenen Tarifnormen von vornherein Inhalt des Arbeitsverhältnisses waren bzw. sind; die Rechte und Pflichten aus den in Bezug genommenen Tarifregelungen gehen bereits gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den neuen Betriebsinhaber über. Wird im Arbeitsvertrag auf einen Tarifvertrag Bezug genommen, kommt es - nach der Rechtsprechung des BAG - für die rechtliche Beurteilung, welcher Tarifvertrag in welcher Fassung (Dynamische Bezugnahmeklausel? Oder statische Bezugnahmeklausel?) nach dem Betriebsübergang Anwendung findet, auf die Umstände beim Abschluss des Arbeitsvertrags an, wie beispielsweise Datum der Vereinbarung der Bezugnahmeklausel (bis zum 31.12.2001 oder nach dem 31.12.2001, d.h. vor oder nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsmodernisierung) und Wortlaut der Bezugnahmeklausel.
Wenn keine der drei vorbeschriebenen Ausgangssituationen zutrifft, d.h. wenn die Tarifgebundenheit des neuen Betriebsinhabers fehlt, wenn eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung (§ 5 TVG) fehlt und wenn schließlich eine Inbezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag fehlt, dann kommt es zur sog. Transformation des Tarifrechts in Individualarbeitsrecht. Die Tarifregelungen werden - soweit es um die Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien geht - zum (ungeschriebenen) Inhalt des Arbeitsverhältnisses. So bestimmt es § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB. Nach alledem ist wichtig: Der Umstand, dass der neue Betriebsinhaber bei der „Privatisierung“ eines Lebensmittelbetriebs nicht tarifgebunden ist, führt nicht zwangsläufig zum Ende der Geltung von Tarifverträgen! Wenn der neue Arbeitgeber nicht tarifgebunden ist, kommt es im Übrigen für die Belegschaft im Zusammenwirken mit der Gewerkschaft ver.di in Betracht, den Abschluss eines Haustarifvertrages zu erwirken - gegebenenfalls im Wege des Streiks.
Die Betriebsvereinbarung gilt kollektivrechtlich, das heißt unmittelbar und zwingend weiter, wenn die Identität der bisherigen betrieblichen Einheit erhalten bleibt.
Mit der Identität des Betriebes bleibt eine entscheidende Grundlage für die verbindliche Fortgeltung der Betriebsvereinbarung aufrecht erhalten. § 613a Abs. 1 Sätze 2 bis 4 BGB sollen nur Lücken im Betriebsverfassungsrecht und im Tarifrecht schließen.
Die bisherige Identität der betrieblichen Einheit geht in denjenigen Fällen verloren, in denen der übertragene Betrieb bzw. Betriebsteil in den Betrieb des Übernehmers eingegliedert oder mit einem anderen Betrieb bzw. Betriebsteil des Übernehmers zusammengelegt wird. Diese Fallkonstellationen dürften bei der „Privatisierung“ von Lebensmittelbetrieben kaum auftreten. Vielmehr ist in der Mehrzahl der Fälle davon auszugehen, dass die Identität der bisherigen betrieblichen Einheit bzw. des bisherigen Betriebes erhalten bleibt und damit die Betriebsvereinbarung unmittelbar und zwingend weiter gilt.
§ 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) räumt die Möglichkeit ein, dass durch Tarifvertrag andere, von der Struktur des BetrVG abweichende Arbeitnehmervertretungsstrukturen für Unternehmen und/oder Konzerne gebildet werden können.
Zuweilen gibt es - gerade im Einzelhandel - Tarifverträge nach § 3 BetrVG, die die Bildung eines Betriebsrats für mehrere Filialen vorsehen.
Wird beispielsweise von fünf Lebensmittelfilialen, die in die Zuständigkeit eines Regionalbetriebsrats fallen, der wiederum auf der Grundlage eines Tarifvertrages nach § 3 BetrVG gebildet ist, eine Lebensmittelfiliale ausgegliedert und im Wege der „Privatisierung“ auf einen neuen Inhaber übertragen, so gelten die bisherigen Betriebsvereinbarungen fort. Sie fallen keineswegs ersatzlos weg, auch wenn es (vorübergehend) in der abgespaltenen Lebensmittelfiliale keinen Betriebsrat gibt!
Der vorübergehende oder gar endgültige Wegfall des Betriebsrats lässt die bestehenden Betriebsvereinbarungen in ihrer unmittelbaren und zwingenden Wirkung unberührt (vgl. unter anderem BAG, Beschluss vom 18.09.2002 - 1 ABR 54/01).
Wegen des Übergangsmandats des Regionalbetriebsrats nach § 21a Abs. 1 BetrVG wird auf die Ausführungen zur Frage unter Ziffer 14.) verwiesen.
Die Schutzfrist von einem Jahr, die in § 613a Abs. 1 Satz 2 BetrVG genannt ist, erstreckt sich nicht auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nach Übergang auf den neuen Betriebsinhaber!
Es gibt keinen einjährigen Kündigungsschutz nach Übergang des Arbeitsverhältnisses!
Die Veränderungssperre von einem Jahr in § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB erstreckt sich ausschließlich auf Tarifverträge und/oder Betriebsvereinbarungen, die aus Anlass des Betriebsübergangs in Individualarbeitsrecht transformiert bzw. umgewandelt werden.
Sofern Tarifverträge weder kollektivrechtlich beim Betriebsübernehmer weiter gelten noch durch Tarifverträge beim Betriebsübernehmer verdrängt werden, weil der Erwerber/Übernehmer nicht tarifgebunden ist, wird der Inhalt der bisher geltenden Tarifverträge - soweit die Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien geregelt sind - (ungeschriebener) Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Betriebserwerber und dem Arbeitnehmer.
Sofern Betriebsvereinbarungen - mangels Identität des Betriebes vor und nach dem Betriebsübergang - nicht kollektivrechtlich beim Betriebsübernehmer weiter gelten und sofern Betriebsvereinbarungen auch nicht durch Betriebsvereinbarungen beim Betriebsübernehmer verdrängt werden, wird ihr Inhalt, soweit die Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien geregelt sind, (ungeschriebener) Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Betriebserwerber und dem Arbeitnehmer. Hierbei ist es ohne Bedeutung, welches Betriebsverfassungsorgan die Vereinbarung ehemals geschlossen hat. Die sog. Transformation nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB gilt daher auch für Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen. Grundsätzlich darf der nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB individualrechtlich weiter geltende Inhalt von Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen nicht vor Ablauf eines Jahres nach Betriebsübergang zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden! Von dieser einjährigen Veränderungssperre gibt es Ausnahmen (§ 613a Abs. 1 Satz 4 BGB).
Nach Ablauf der einjährigen Veränderungssperre (§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB) darf der Betriebsübernehmer nicht einseitig inhaltliche Änderungen vornehmen, sondern es bedarf insoweit der Änderungsvereinbarung oder der Änderungskündigung. Findet das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) Anwendung, so ist zu beachten, dass die Rechtmäßigkeit der Änderungskündigung, mit der Arbeitsbedingungen geändert bzw. angepasst werden sollen, voraussetzt, dass sie sozial gerechtfertigt ist (§ 1 KSchG). Der bloße Wille des Arbeitgebers, einheitliche Arbeitsbedingungen im Betrieb herzustellen, reicht hierfür nicht aus! Auch sonstige Kündigungsschutzvorschriften (z.B. für schwerbehinderte Menschen, für Schwangere und/oder für Menschen in Elternzeit) sind bei Ausspruch der Änderungskündigung unbedingt zu beachten.
Bleibt beim Betriebsübergang die Identität des Betriebes erhalten, so führt der Betriebsrat sein Amt unverändert und uneingeschränkt weiter.
Wegen des Beispielfalls (Ausgliederung einer Lebensmittelfiliale) verweise ich auf die Antwort zur Frage unter Ziffer 11.).
Die einzelne Lebensmittelfiliale ist im Falle des Regionalbetriebsrats als Betriebsteil zu sehen. Wird dieser Betriebsteil ausgegliedert und im Wege der „Privatisierung“ auf einen neuen Inhaber übertragen, so bleibt die Identität des Ursprungsbetriebs im Wesentlichen erhalten - mit der Folge, dass der Regionalbetriebsrat unverändert und uneingeschränkt im Amt bleibt.
Wird der abgespaltene und sodann übertragene Betriebsteil als selbständiger Betrieb vom Erwerber fortgeführt, hat der Betriebsrat des Ursprungsbetriebs, das heißt hier der Regionalbetriebsrat, gemäß § 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG zunächst ein Übergangsmandat. Sinn und Zweck des Übergangsmandats ist es insbesondere bis zur Neuwahl eines Betriebsrats in der neu gebildeten Einheit eine betriebsratslose Zeit zu vermeiden.
Während der Dauer des Übergangsmandats bleibt der Regionalbetriebsrat in der personellen Zusammensetzung, wie sie vor der Umstrukturierung / Abspaltung bestanden hat, sowohl für den Ursprungsbetrieb als auch für die neue betriebsratsfähige Organisationseinheit zuständig, für die erst noch ein Betriebsrat zu wählen ist.
Die sich aus dem Übergangsmandat ergebenden Rechte und Befugnisse sind in keiner Weise eingeschränkt.
§ 21 Abs. 1 Satz 2 BetrVG betont die Pflicht, unverzüglich den Wahlvorstand für die Wahl eines neuen Betriebsrats in der abgespaltenen Einheit zu bestellen, damit eine betriebsratslose Zeit nach Ablauf der begrenzten Dauer des Übergangsmandats vermieden wird. Die Dauer des Übergangsmandats ist zeitlich befristet, und zwar auf sechs Monate. Die Dauer kann durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung um weitere sechs Monate auf insgesamt zwölf Monate verlängert werden.
Die Bestellung eines Wahlvorstands für die abgespaltene Lebensmittelfiliale und die Wahl eines Betriebsrats in der abgespaltenen Lebensmittelfiliale, die als selbständiger Betrieb vom Erwerber/Übernehmer fortgeführt wird, ist insbesondere deswegen bedeutsam, weil nicht auszuschließen ist, dass es nach Betriebsübergang zur Betriebsänderung durch den neuen Inhaber einschließlich Personalabbaumaßnahmen kommen kann.
Die Betriebsänderung im Sinne von § 111 Satz 1 BetrVG ist grundsätzlich jede Änderung der betrieblichen Organisation, der Betriebstätigkeit, der Arbeitsweise, des Standorts und dergleichen, sofern sie wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder für erhebliche Teile der Belegschaft haben kann.
Bei den in § 111 Satz 3 Nummer 1 bis 5 BetrVG aufgezählten Maßnahmen handelt es sich nicht um eine abschließende Aufzählung. Liegt allerdings einer der beispielhaft genannten Fälle vor, werden nachteilige Folgen unterstellt; die tatsächlich entstehenden Nachteile werden erst bei der Aufstellung eines Sozialplans geprüft.
Aus Anlass einer geplanten Betriebsänderung hat der Unternehmer - mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern - den Betriebsrat zu unterrichten und mit ihm die geplante Betriebsänderung zu beraten (§ 111 BetrVG). Ziel der Beratungen ist der sog. Interessenausgleich, der sich auf das „Ob“, das „Wann“ und das „Wie“ der geplanten Betriebsänderung erstreckt.
Außerdem haben der Unternehmer und der Betriebsrat den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile zu beraten, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen (§ 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Ziel dieser Beratungen ist der sog. Sozialplan.
Geht der Betrieb als Ganzes auf einen neuen Inhaber über, liegt - nach der Rechtsprechung des BAG - keine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG vor, weil der Betrieb als solcher erhalten bleibt und nur der Arbeitgeber wechselt.
Anders ist die Beurteilung in denjenigen Fällen, in denen ein Betriebsrat auf der Grundlage eines besonderen Tarifvertrages für mehrere Filialen gewählt und zuständig ist (Regionalbetriebsrat): Betriebsverfassungsrechtlich bilden die Lebensmittelfilialen einen Betrieb und die einzelne, in die Zuständigkeit des Regionalbetriebsrats fallende Lebensmittelfiliale stellt einen Betriebsteil im Sinne von § 111 BetrVG dar. Wird ein Betriebsteil - hier: eine Lebensmittelfiliale - auf einen neuen Inhaber übertragen, handelt es sich in der Regel um die Spaltung des Betriebes im Sinne von § 111 Satz 3 Nummer 3 BetrVG (vgl. unter anderem BAG, Beschluss vom 10.12.1996 - 1 ABR 32/96). Je nach den Umständen des Einzelfalls kann zusätzlich eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation im Sinne von § 111 Satz 3 Nummer 4 BetrVG vorliegen.
Es ist also eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG gegeben, wenn eine von mehreren Lebensmittelfilialen, für die ein Regionalbetriebsrat zuständig ist, auf einen neuen Inhaber übertragen, „privatisiert“ wird. Für die Beratungen zur Betriebsänderung (§§ 111, 112 BetrVG) ist
der Regionalbetriebsrat zuständig; sein Verhandlungspartner ist der veräußernde bzw. abgebende Unternehmer. Die Verhandlungen zum Interessenausgleich haben vor der Abspaltung und Übertragung des Betriebsteils, d.h. vor der „Privatisierung“, stattzufinden. Zu beachten ist: Womöglich führt der Erwerber kurze Zeit nach dem Betriebsübergang eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG durch (z.B. grundlegende Änderung der Betriebsorganisation im Sinne von § 111 Satz 3 Nummer 4 BetrVG) - mit der Folge, dass entweder der im Amt bleibende Betriebsrat oder der Regionalbetriebsrat im Rahmen seines Übergangsmandats Verhandlungen zu Interessenausgleich und Sozialplan gegenüber dem neuen Betriebsinhaber beanspruchen können.
Bis zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs erfolgte die Vergütung der Mitarbeiter - wegen der Tarifgebundenheit des Unternehmens - nach einem bestimmten Tarifvertrag, d.h. nach einer tariflichen Vergütungsordnung.
Sofern der Übernehmer der Lebensmittelfiliale nicht tarifgebunden ist, kann bzw. darf er nicht einseitig die bisher im Betrieb geltende tarifliche Vergütungsordnung in ihrer Struktur ändern. Auch nach dem Wegfall der Tarifbindung des Arbeitgebers hat dieser das bisher im Betrieb geltende tarifliche Entgeltschema und die in ihm enthaltene abstrakte Entgeltstruktur weiter anzuwenden, solange der Betriebsrat einer Änderung nicht zugestimmt hat.
Die tarifliche Vergütungsordnung stellt nach dem Wegfall der Tarifbindung des Arbeitgebers weiterhin die im Betrieb geltende Vergütungsordnung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG dar. Der Betriebsübernehmer muss deshalb auch die Vergütung neu eingestellter Arbeitnehmer an der Struktur der bisherigen Vergütungsordnung ausrichten. Die Änderung dieser Vergütungsstruktur bedarf - weil der neue Betriebs-/Unternehmensinhaber nicht tarifgebunden ist - der vorherigen Zustimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Vgl. unter anderem BAG, Beschluss vom 02.03.2004 - 1 AZR 271/03.
Beachte: Die Vergütungsordnung ändert sich nicht, wenn der - tariflich ungebundene - Arbeitgeber die bisherigen tariflichen Entgeltbeträge bei Neueinstellungen sämtlich um den gleichen Prozentsatz absenkt.
Bei Missachtung des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat die Möglichkeit bzw. das Recht, ein entsprechendes Unterlassungsverfahren beim Arbeitsgericht gegen den (neuen) Arbeitgeber einzuleiten.
Wie bereits zu der Frage unter Ziffer 9.) angemerkt, kommt es in dem Fall, dass der neue Betriebs- /Unternehmensinhaber nicht tarifgebunden ist, außerdem in Betracht, dass die Belegschaft im Zusammenwirken mit der Gewerkschaft ver.di den Abschluss eines Haus-/Firmentarifvertrages erwirkt - gegebenenfalls im Wege des Streiks.